Ich bin in Wien gewesen; das ist weit. Nicht ganz megaweit, denn wenn du mich morgens rufst, bin ich mittags da. Ja. Du musst nur an der Lampe reiben oder du sprichst „Sesam, öffne dich!“ oder den Zauberspruch, nur sprich den Falschen nicht, sonst, leider, greifst du in die Taschen, dann sind sie voll Marmelade.
Ich fahre viel Straßenbahn. Das ist sehr unterhaltsam. Die Wiener fahren durchaus Straßenbahn. Auch wenn es nur eine Station ist, sie warten dreimal länger auf die Straßenbahn, als sie für die Strecke, die sie dann fahren, zu Fuß benötigt hätten. Das ist lustig. Wiener diskutieren leidenschaftlich gern und lang darüber, mit welcher Straßenbahnverbindung man wohl am schnellsten von hier nach dort kommt. Frag also nie einen Wiener nach einer Straßenbahnverbindung, da sich die Antwort ungefähr so anhört:
„Da fährst am besten mit der 46, steigst dann am Dr.-Karl-Renner-Ring auf die 1 um und vom Schwedenplatz mit der 2 weiter, von da aus … oder neee, besser du fährst gleich mit der 2 am Ottakring ab und steigst dann …“ und so weiter und so fort. Als Externer hörst du das und stehst da, wie der Ochs im Walde.
Inzwischen kann ich die Straßenbahnfahrpläne recht gut lesen, frage also lieber nicht mehr.
Mein Auto parkte ich weit fort von der Märchenakademie, weit vom 16. Bezirk, im 18. Bezirk am Türkenschanzpark; da hatten sich die Türken, vor ungefähr einem halben Jahrtausend, verschanzt; heute feiern sie dort Feste. Und du kannst dort kostenlos parken. Wenn du dann dein Auto suchst, fahr einfach mit der 9 von der Thaliastraße bis zur Vinzenzgasse und geh diese gradeaus, am Aumannplatz, am Café Aumann vorbei, in dessen Schaufenstern du die Diplomaten des nahen Botschaftsviertels beim Frühstück beobachten kannst, gehst die Georg-Mendel-Gasse oder -Straße rauf und dann bist du am Türkenschanzpark. Zurück fährst du vom Aumannplatz mit der 41, musst aber am Gersthof in die 9 Richtung Westbahnhof umsteigen. Oder so.
Die Tage in Wien sind sehr anstrengend.
Jeden Morgen um sechs klingelt der Wecker.
Ich stehe dann nicht auf;
nö.
Ich liege und denke.
Geschichten gehen durch meinen Kopf.
Ideen, gedreht und gewendet.
Düstere Gedanken werden vertrieben.
Bis um acht.
Dann stehe ich auf
und steige in die 46 bis Strozzigasse,
dann in den 13a durch die Neubaugasse bis Mariahilfgasse.
Von dort gehe ich per pedes zum Haus des Meeres
(ein alter Flakturm aus dem Krieg mit 2,5 Meter dicken Wänden; deshalb ist er noch da, man konnte ihn nicht sprengen, ohne das halbe Viertel in die Luft zu jagen. Nun schwimmen Fische darin.)
und da gegenüber ist mein Frühstückscafé.
Das heißt wie die Straße, in der es sich befindet, glaub ich. Rilke hat was ins Fenster geschrieben, und seitdem hat das nie einer geputzt.
Klein, roh.
Unrenoviert, alt.
Und schäbig,
alles mit Absicht, Sinn und Verstand.
Und es gibt günstig ein Frühstück, das, wenn man es um 10 Uhr verspeist, auch um 14 Uhr noch als Mittagessen reicht. Und ab 15 Uhr gibt es Gulasch. Von Viertel nach acht bis um zehn treibe ich mich also herum. Vorher macht das Café nicht auf. Schreibe Mails und denke Geschichten durch.
Nachmittags arbeite ich in der Märchenakademie. Übe Geschichten, lerne Gitarre. Abends bin ich müde und gehe um acht ins Bett. Schlafen. Echt wahr. So ist Wien.
Das Café Ritter gibt es auch noch. Von der Märchenakademie leicht über die Linie 2 zu erreichen oder zu Fuß an der Ottakringer Brauerei vorbei. Hohe Räume mit gelblich verrauchten Stuckverzierungen, Kaffeehauspatina, Spielkarten an der Decke, von einem Zauberer dort hinaufgezaubert, kleinen Konzerten, Schrammelmusik und Jazz, spanische Gitarren. Die Gäste haben reserviert, ältere Herrschaften, man kennt sich, umarmt sich, setzt sich, isst zu Abend, während mitten zwischen den Gästen die Musik beginnt. In den Pausen gehen die Musiker herum, unterhalten sich mit den Leuten, 15, 20 Zuhörer werden’s wohl sein.
Wien ist ein Abenteuer. Aber nach zwei Wochen habe ich mich an das Abenteuer gewöhnt, mich dem Rhythmus der Stadt ein wenig angepasst, ein paar ihrer Geheimnisse kennengelernt, viele, viele freundliche, nette und liebe Menschen kennengelernt und auch wiedergetroffen, habe einige Geschichten erlebt, viele erzählt und noch mehr gehört.
Ich habe in Heiligenstadt Tajine gekocht und eine phantastische Erzählnacht miterlebt, habe Erzählkreise besucht, bin und bin und bin Straßenbahn gefahren und gelaufen … weit. Bin mit einem Freund durch die Innenstadt hindurch und um die ganze Stadt herumgegangen, gefahren und habe eine herrliche und lehrreiche Zeit mit einer großartigen Erzählerin verbracht.
Schön war es.
Danke, Margarete :0)
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